In der IT gibt es gute Anwendungen und Anwendungen, die waren einmal gut. Das ist sogar noch schlimmer als schlecht, denn eine schlechte Anwendung führt man nicht ein aber die, die mal gut war, wird man nicht los.

Bevor wir uns mit den Auswirkungen solcher Anwendungen auf die Konzern-IT auseinandersetzen, erst einmal eine Geschichte:

Es war einmal ein angesehener Typ, der einem hübschen, aber leider etwas naiven Mädchen einen Sohn beschert hat.

Dieses war als Baby sehr niedlich, als Kind blitzgescheit, wurde aber irgendwann mit einer nicht-endenden Pubertät außergewöhnlich … schwierig. Verwandte und Freunde waren sehr bemüht den Jungen einzubinden, aber sie wurden auf üble Art behandelt und bald weigerte sich jeder, auch nur dessen Haus zu betreten. Aus dem Sohn ist ein echter Gremlin geworden.

Der Vater – ebenfalls nicht auf den Kopf gefallen – fand bald eine Lösung: er setzte sich ab. Damit nicht allzu sehr auffiel, dass er in der Erziehung versagt hatte, stellte er eine Erzieherin ein, mit der Aufgabe, den Jungen zu bessern. Seine Hoffnung war, dass diese ein erzieherisches Wunder vollbringt oder wenigstens weiterhin alles seinen Gang geht.

An dieser Stelle kann man sich fragen was diese unglaublich spannend erzählte und sicherlich bestsellerverdächtige Erzählung mit der ursprünglichen Fragestellung zu tun hat. 

Nun, bevor wir uns dieser Frage zuwenden schauen wir uns noch an, wie die Geschichte wohl endet:

Man kann wohl als äußerst wahrscheinlich annehmen, dass die neu hinzugekommene Erzieherin, die den Sohn am wenigsten kennt, auch nicht erfolgreicher als die Freunde und Verwandten sein wird.

Am ehesten wird es wohl so ausgehen, dass die Erzieherin ihre Arbeit ohne große Chance auf Erfolg verrichtet. Entweder wird sie wegen zu großem Misserfolg (ungeachtet, dass die Situation ja schon vor ihrer Ankunft verfahren war) gefeuert, bzw. sie gibt auf. In ihrem nächsten Job ist sie deutlich glücklicher und wir freuen uns über das gute Ende für sie.

Oder sie ist leider genug erfolgreich, um nicht gefeuert zu werden, wird immer frustrierter und zündet eines Tages das Haus an und alle verbrennen. Das verbuchen wir als nicht ganz so gutes Ende, aber wenigstens hat keiner gefroren.

Den Ausgang „Erzieherin und Sohn verlieben sich, woraufhin der Sohn ein besserer Mensch wird“ dürfen wir getrost als äußerst unwahrscheinlich ins Reich der Märchen einordnen.

Halten wir einen Moment inne und stellen uns erneut die Frage, worin der Bezug zur IT besteht. Benennen wir die Akteure einmal etwas anders:

Ein angesehener Typ, nennen wir ihn Architekten oder Lead-Developer, entwickelt für seinen Konzern (hübsch, aber etwas naiv) eine, oder noch schlimmer, eine ganze Reihe von geschäftskritischen Anwendungen. Diese bekommen – insbesondere in den ersten Jahren – sehr viel Liebe und Aufmerksamkeit. Im Laufe der Jahre wurde der Umgang mit der Anwendung immer zickiger. Neue Features wurden von unterschiedlichen Entwicklern umgesetzt, diverse Bugfixes hatten eher den Charakter von Workarounds und der Personenkreis, der sich mit dieser Anwendung genügend auskannte, wurde äußerst übersichtlich.

Zugleich sinkt die Zufriedenheit innerhalb dieses Personenkreises: die Anwendung ist in die Jahre gekommen und basiert auf veralteter Technik. Es wird in keine Weiterentwicklung mehr investiert, und die typische Berührung mit der Applikation besteht in Feuerlöscheinsätzen bei Produktionsproblemen. Die Klagen über die Anwendung mehren sich, das Volk murrt und unser Lead-Developer – in seinem Stolz getroffen – verdünnisiert sich. Ob in eine andere Abteilung oder eine komplett andere Firma spielt keine Rolle, wichtig ist, dass er jegliche Verantwortung von sich weist.

Nun hat man eine durchaus noch geschäftskritische Anwendung, mit der aber keiner mehr Kontakt haben möchte.

Die spontane Idee, das Problem einfach an die letzten Glieder der Nahrungskette zu übergeben, hat sich nach einigen Kündigungen (von guten Leuten) während der Probezeit als weniger erfolgreich erwiesen.

Meist schlägt jetzt die Stunde des externen Beraters. Dieser soll sich um die Applikation kümmern. Damit betraut man dann eine Person, die sich von allen Beteiligten am wenigsten mit der Anwendung auskennt.

Mögliche Ausgänge der Geschichte sind auch hier: der Berater ist frustriert, geht (selbständig oder nach Aufforderung) und ist woanders glücklicher.

Auch hier darf man die Möglichkeit, dass der Berater die Arbeit mit der Anwendung für sich als zufriedenstellend einstuft, als unwahrscheinlich einstufen. Ich würde jedenfalls kein Geld drauf wetten – im Gegensatz zu unserem Konzern, der mit Einsatz des Beraterentgeltes auf die Liebe zwischen Berater und veralteter Anwendung setzt.

So weit, so klar und frustrierend. Es drängt sich die Frage auf, wie man die Situation hätte verbessern können. Hier gibt es Parallelen zu der amerikanischen Serie „Die Super Nanny“. Das Format ist schnell beschrieben: Irgendwelche überforderten Eltern holen die Super-Nanny, diese soll helfen.

Aber warum kann die Super-Nanny erfolgreich sein, wo unsere Erzieherin versagt? Ein wesentlicher Unterschied liegt in der Aufgabenstellung: die Erzieherin soll den Sohn auf das rechte Gleis bringen.

Die Super-Nanny hingegen würde das Umfeld des Sohnes dazu befähigen, mit diesem zu interagieren. Die Erziehung des Sohnes ist hierbei Teil, aber nicht die Hauptaufgabe. Die Erziehung als Hauptaufgabe wäre auch kein gutes Ziel, denn nach nicht allzu langer Zeit ist die Super-Nanny ja wieder weg. Danach würde sich die Ausgangslage wiedereinstellen – es sei denn, das Umfeld wäre inzwischen in der Lage, dies zu verhindern.

Was bedeutet dies nun für unseren wackeren Berater? Sich um die problematische Anwendung zu kümmern, ist deutlich weniger erfolgversprechend, als den Konzern in die Lage zu versetzen, diese Applikation zu warten.

Der Konzern wird sich natürlich wehren: “Das ist Ihre Aufgabe“ (will ja sonst keiner), „Wir haben keine Leute verfügbar“ (die haben sich andere Aufgaben gesucht), „Wir bekommen da keinen für“ (stimmt, mich auch nicht), „Das selbst zu machen hat nicht funktioniert“ (warum sollte dann jemand anders erfolgreich sein?).

Was würde wohl die Super-Nanny antworten? Vermutlich so etwas: „Sie haben mich um Hilfe gebeten, aber es ist ihr Kind. Ihre Handlungen haben wesentlich zu dem jetzigen Zustand geführt. Daher sehe ich es als meine Aufgabe, Ihnen zu helfen, aus dieser Situation auszubrechen und das tue ich auch gern. Dafür brauche ich Ihre Hilfe und Zusammenarbeit. Sollten Sie jetzt immer noch darauf bestehen, dass ich ihr Kind lediglich 3-4 Wochen betreue, kann ich Ihnen nicht weiterhelfen – Sie würden nur Zeit und Geld vergeuden.“

Und so kann auch unser Berater dem Konzern klarmachen, bei welchen Aufgabestellungen er helfen kann und bei welchen nicht. Möglicherweise wird der Konzern ihm seine Ehrlichkeit nicht danken und jemand anderes einstellen. Nach allem, was wir bisher wissen, heißt das für den Berater aber hauptsächlich, dass er eine frustrierende Erfahrung ausgelassen hat.

Was den Umgang mit Applikationen, die einmal gut waren, angeht, sind wir damit auch schon am Ende.

Hinzuzufügen ist noch, dass es am allerbesten ist, wenn man die Super-Nanny gar nicht erst braucht und langsam verrottende Applikationen zeitnah entsorgt.

Dafür braucht es sicherlich Ressourcen und diese zu bekommen ist meist nicht einfach. Schließlich wird mit der Entsorgung kein sichtbarer Geschäftswert produziert.

Allerdings werden diese Ressourcen über die Zeit zur Wartung/Pflege trotzdem benötigt. Mitarbeiter lassen sich zudem eher für die Ablösung als für die Pflege einer unliebsamen Anwendung begeistern. Und zu Guter Letzt kostet die letzte Rettung durch die Super-Nanny meist mehr Ressourcen als eine frühzeitige Entsorgung.

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